Ein 15-Minuten-Gewitter in der Dickens Road
Ein schwarzer Vollbart kreuzt die Arme und lässt den Klagegesang der Highländer die Straße hinunterwehen. Der Milchmann stellt vier kleine Flaschen vor die Tür und flieht vor dem Hund. Wie immer. Die Docks an der Themse sind die Heimat der Arbeitslosen (da war dieser Typ, der jeden Morgen drei Mal so laut er konnte Fuck! in die Brandung schrie; danach hat er sich für den Rest des Tages völlig entspannt hinter sein Bierglas gehockt). Die Eckkneipe mit der ewig spielenden Wurlitzer immer voll besetzt.
Als am Spätnachmittag das erste Frühlingsgewitter heraufzieht, die Himmelstinte rührt und die Katze ängstlich an den Hund drückt, sind sie plötzlich da. Starten ihre 15-Minuten-Show:
Am Horizont galoppieren Cocktailschirmchen in blitzenden Farben. Mit einem scheppernden Schlag prasseln die Geschosse der himmlischen Marine aufs Dach, prallen zurück und und lieben sich auf den Fensterscheiben. Ein Stück Himmel schwenkt schwarze Fahnen und die Flusskönigin erscheint. Spuckt ihren Hochmut in die Vorgärten, bis die Margeriten ängstlich unter den Blättern verschwinden. Zu ihren Füßen die blindwütigen Windgeister. Jagen einen verirrten Sonnenstrahl die Straße hinunter, ändern ruckhaft die Richtung und rennen sich die Köpfe an der Tür ein.
Käpt’n Fred und seine Luftstrombrigade schütten Weihwasser. Eisschollen fliegen auf einem zitternden Fluss vorbei und zerspringen kreischend über den Dächern.
Der Königliche Cricketverein mit weißen Westen versucht zu vermitteln und ein Streichquartett auf Wolkenfüßen spielt Brahms dazu. Dirigiert von Bruder Abendwind, der die Tänzerinnen zum Schlußakkord auf die Bühne holt und die Hinterbacken bläht. Ein kurzer Aufschrei der Flusskönigin und alles läuft rückwärts. Dann: Stille! Und mitten in diese Stille hinein: Der geheimnisvolle Gesang der Amsel.
Hol’ die Milch rein, Zeit für eine Tasse Tee, die Margeriten blinzeln wieder. Aus der Eckkneipe weht leise Musik herüber. Nirgendwo auf der Welt klingen Balladen schöner als hier unten in der Dickens Road.
Rembrand gähnt
Am Nachmittag bin ich mit dem roten Kater Rembrand unterwegs. Die weite Wiese streckt den Violinenbogen, setzt an und spielt eine Sommer- Symphonie in die Luft. Der Wind springt ins Gras und wiegt sich mit der Melodie. Die Bäume lauschen andächtig und aus dem blitzblankgeputzten Himmel fallen ein paar Vogelstimmen. Sogar die Motoren der Autos auf der B 73 verstummen; Straßensperre irgendwo zwischen Hamburg und hier. Der rote Kater Rembrand sitzt mit mir auf den besten Plätzen mitten im wundervollen Konzert. Mutter Erde flüstert. Die Gelegenheit, eine Frage zu stellen.
„Mutter Erde, sind wir die Einzigen, die deine unbeschreibliche Schönheit sehen? Warum versucht man ständig, dich umzubringen? Nur des Geldes wegen?!!“
„Tja,“ sagt Mutter Erde, „Keine Menschen, kein Geld, keine Probleme.“
„Aber gibt es denn Hoffnung, dass sich die Menschen ändern?“
„Tja,“ sagt Mutter Erde und zuckt die Schultern, was ein leichtes Erdbeben im Schwarzwald und einen heftigen Regenschauer irgendwo in Neuseeland verursacht.
Rembrand gähnt.
Star-Club Hamburg 1964
Auf der Reeperbahn tanzte mein Lieblingslokal, doch ich war nie dabei
denn nicht ein einziges Mal kam ich am Türsteher vorbei
Eine Insel für die Träumer, was Neues für den Kopf
ein Herzschlag aus dem Untergrund, der wild und laut anklopft
Und nebenan das Bordell für alle kleinen Sünder
die Welt ist ein Stundenhotel
Auf der Reeperbahn tanzte mein Lieblingslokal doch ich war nie dabei
denn nicht ein einziges Mal kam ich am Türsteher vorbei
Da ist die große Bühne, die es nur einmal gibt
und in die Große Freiheit fährt unter Segeln aus Musik
Und nebenan der Beichtstuhl für alle kleinen Sünder
von Sankt Pauli bis nach Liverpool
Auf der Reeperbahn stand mein Lieblingslokal, wie es vorher keines gab
das war für mich das letzte Paradies, das ich nie betreten hab’.
Abendlied
Der Sonnenball versinkt in einem Meer aus rotem Wein
ein Engel fällt vom Himmel und verwandelt sich zu Stein
Der Tag sucht ein Versteck, doch er spürt
wie ein tintenblauer Schatten den letzten Sonnenstrahl entführt
Der Regenbogen reckt sich in flüssig-goldnem Glas
verschwebt für heut und wartet geduckt im hohen Gras
Ein fliegender Teppich landet, mit Wolkentau bestickt
immer wenn die Sonne die letzten Strahlen schickt
Ein Drache streift die Erde und verliert das Gleichgewicht
zerspringt wie eine Seifenblase im Sommer-Abendlicht
Ein heißer Wind aus Nigeria winkt in den Zweigen
während sich die Wälder vor der Nacht verneigen
Der Tag wußte schon lange, dass er das Augenlicht verliert
der Tag, der als Genie geboren und als Idiot begraben wird
Warum sagst du grad jetzt: Der Letzte löscht das Licht
die Erde ist eine Scheibe und Drachen gibt es nicht ...
Blaue Blume
Wir suchen die Südsee im Norden
die Sonne im Mitternachtsblau
wir suchen Liebe nur in Worten
und den Abendstern im Morgentau
Wir suchen Gold in Silberminen
das Feuer im Eiskristall
wir suchen das Heimweh auf Eisenbahnschienen
und die Insel auf dem Asphalt
Immer gegen den Wind und gottweißwohin
sowieso immer gegen den Strom
mit dem Kopf an die Wand
dann sehn wir sie schon
die blaue Blume am Straßenrand
die blaue Blume in deiner Hand
Unten am Fluss
Sie rascheln leise im Schilf
die gläsernen Flügel stehn still
Dunkle Augen in Wolkengesichtern - unten am Fluss
Das bunte Volk hat noch nicht ausgeträumt
die Strömung schickt ein Rettungsfloß
Traumfiguren zerschneiden den Nebel über dem Fluss
Sie treiben vor die Tore der Stadt
ihre Fahrt ist hier zu Ende
nehmen das Herz fest in beide Hände
und werfen es hoch, hoch in die Luft
Am Morgen fällt aus heiterem Himmel
blutroter Regen auf die Stadt
und Gesichter unter Regenschirmen
werden wieder Traumgesichter
Sie rascheln leise im Schilf
die gläsernen Flügel stehn still
nimm deinen Hut, sie warten noch
unten
am
Fluss...
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